Hans Berger

MG Kaiseraugst warf erfolgreich das Lasso aus

Selber bezeichnen sie sich als Banditen, die von Sheriff Philippe Wendling – der eigentlich den Marshall-Stern verdient hätte – durch den Wilden Westen gejagt werden, nur weil sie sich darauf spezialisiert haben, haufenweise Noten zu klauen. Nein, nicht Banknoten, sondern Musiknoten, die der Sheriff jedoch für sich beansprucht, weil er will, dass die Räuber nach seiner Pfeife tanzen…. – ähh – spielen. Der Gesetzeshüter überwältigte im Alleingang die Horde, nahm sie unter seine Fittiche und formte sie zu der Musikgesellschaft Kaiseraugst, welche vergangenen Samstag in der voll besetzten Mehrzweckhalle ihr Jahreskonzert gab und unter dem Titel „Wanted“ von ihrer Zeit im Wilden Westen berichtete.

Fake News?

Allerdings sorgten die musizierenden Banditen gleich zu Beginn für etwas Verwirrung, da offensichtlich sie es waren, welche die Einwohner eines kleinen mexikanischen Dorfes von einer Räuberbande befreiten und nicht wie allgemein angenommen die im gleichnamigen Film verherrlichten „Glorreichen Sieben“ (The Magnificent Seven).

Na ja, vielleicht war das auch nur eine Fake News, die allerdings von den ansonsten souverän, informativ und witzig durchs Programm führenden Moderatoren Cornelia Käslin und Benjamin Bürgi mit keiner Silbe dementiert wurde. 
Egal, Tatsache ist, die Dorfmusik hatte mit dem ersten Lassowurf das ganze Publikum vereinnahmt.

In Gefangenschaft
Zu den musikalischen Highlights gehörte gewiss was die Notenräuber auf der in der Bucht von San Francisco liegenden Insel „Alcatraz“ so alles erlebt haben. Schon beim ersten Takt war spürbar, dass selbst der Hofgang im seinerzeit grössten Gefängnis der Welt kein Sonntagsspaziergang war. In einem kurzen Sax-Solo war die Freiheitssehnsucht eines Häftlings zu vernehmen, während es ringsum rumorte und die Bösartigkeit der Insassen geschildert wurde.

Logisch, ein, das Leben vereinfachendes harmonisches Miteinander war auf „Alcatraz“ inexistent. Zwischendurch waren die Klagen eines scheinbar Unschuldigen zu vernehmen, allerdings ist nicht auszuschliessen, dass er damit nur beim Psychologen punkten wollte.

Ein eindrückliches, unter die Haut gehendes Bild des vom Wasser aufsteigenden Nebels malte das Orchester mit Bass, Piccolo, Perkussion und Gesang. Auch fröhliche Feste soll‘s auf „Alcatraz“ gegeben haben, wie die Musikantinnen und Musikanten berichteten, welche aber in einer wilden Prügelei endeten.

Der Komponist Fritz Neuböck hat diese intuitiven Eindrücke in einer packenden Komposition musikalisch umschrieben, die wiederum von der Musikgesellschaft Kaiseraugst unter der Leitung von Philippe Wendling hautnah interpretiert wurde.

Mit Volldampf
Nach dieser glanzvollen Tat übertrieben es die Orchestermitglieder mit der Bescheidenheit gewaltig, als sie sich mit „My Name is Nobody“ vorstellten. Aber vielleicht war die Selbsteinschätzung genauso schlitzohrig gemeint, wie sich das Schlitzohr Nobody im Italowestern von Sergio Leone gibt.

Es muss wohl so gewesen sein, denn ansonsten hätte sich das Orchester wohl kaum auf die  abenteuerliche Zugfahrt durch die faszinierende Landschaft von „Oregon“, einer der nordwestlichen Staaten Amerikas begeben. Ein langsames Thema in Moll, gepaart mit Variationen in Western, Rockrhythmen und melodiösen Passagen waren einige der Elemente, welche die musikalisch anspruchsvolle Reise mit der schnaubenden Dampflokomotive so spannend und abwechslungsreich machten.

Ja und weil Oregon an den Bundesstaat Nevada grenzt, machte das Orchester zusammen mit dem aufgestellten Publikum einen Abstecher nach Virginia City, um auf der Ponderosa-Ranch Ben Cartwright und seinen drei Söhnen Adam, Hoss und Little Joe kund zu tun, dass ihr „Bonanza“ auch heute noch die Leute zu begeistern vermag. Danach hiess die Fahrtrichtung „Go West“, Richtung Pause.

Stelldichein
Genauso wild, wenn nicht gar wilder wie der Wilde Westen war Jahrzehnte später, in den 1920er-Jahren Chicago, als dort Alphonse Gabriel „Al“ Capone Angst und Schrecken verbreitete. Mit einem Medley aus dem gleichnamigen Musical brillierte die Dorfmusik und zeigte damit, dass sie auch dem Swing-, Jazz- und Tango-Sound mächtig ist.

Danach gab’s ein Stelldichein mit Ellen Patterson, Nscho-tschi, Sam Hawkens, Frederick Santer, Old Shatterhand, Winnetou, sprich Karin Dor, Marie Versini, Ralf Wolter, Mario Adorf, Lex Parker, Pierre Brice, bei dem die Seniorinnen und Senioren in ihrer Jugendzeit schwelgten und damals vermutlich nicht wenige unter ihnen liebend gerne mit Karin Dor im Silbersee schwimmen gegangen wären oder Winnetous Silberbüchse gestreichelt hätten.

Bandenkrieg
Nein, New York City gehört nicht zum Wilden Westen, aber in den 1950er Jahren gab’s durchaus Ähnlichkeiten, als sich dort die rivalisierenden ethnischen Jugendbanden, die US-amerikanischen Jets und die puertoricanischen Sharks regelrecht bekriegten und Tony und Maria beinah dasselbe Schicksal erlitten wie Shakespeares Romeo und Julia. 
Ein Relikt aus dieser Zeit ist die Songpassage:

„I like to be in America! O.K. by me in America! Everything free in America! For a small fee in America! Automobile in America. Chromium steel in America. Wirespoke wheel in American, Very big deal in America!“ 
Ja, richtig die Rede ist von Leonard Bernsteins „America“ aus dem Musical „West Side Story“, mit dem die „Banditen“ manchen Fuss in der Halle zum Wippen brachten.

Bandenkriege gab‘s aber bekanntlich auch in Sergio Leones Western wie „Zwei glorreiche Halunken“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ für deren in die Ohren gehende Soundtracks sich Ennio Morricone verantwortlich zeichnete und ihm deshalb die Dorfmusik Kaiseraugst mit dem Medley „Moment for Morricone“ ein beeindruckendes Kränzchen wand.

Finale
Mindestens so wild wie einst James Last bei seinen Country- und Western-Partys ritt auch die Dorfmusik beim „Country Call“ durch die Prärie und gab sich beim Militärmarsch „The Stars and Stripes Forever“ (Unter dem Sternenbanner) so waschecht amerikanisch, dass ihr dafür - wäre er dabei gewesen - Donald Trump bestimmt auf der Stellte eine Ehrenmedaille überreicht hätte.

Stellvertretend spendete das begeisterte Publikum den längs rehabilitierten „Banditen“ und dem zwischenzeitlich insgeheim zum Marshall beförderten Philippe Wendling einen frenetischen, Zugabe fordernden Applaus. Was die MG Kaiseraugst mit „Curtain Call“, bei dem jedes Register einmal im Rampenlicht strahlte, quittierte. Die darauffolgende Standing Ovation wurde mit dem „Meinrad Schmid-Marsch“ verdankt und als dritte Zugabe machten Publikum und Orchestern nochmals einen Abstecher auf die Ponderosa-Ranch.